Worin wir gefehlt haben und was wir ver- saiumt haben, sollen wir nach unseren eigenen Maf- stfiben ermessen, und dabei sollen wir strong gegen uns selbst sein. Denn es ist zu leicht und zu verlockend, sich fiber andere zu erheben, statt bei sich selbst Ord- nung zu machen. Die Apologetik der letzten Jahrzehnte hatte vor allem d as Uebel, daB durch sie der free Blick auf uns selbst getriibt wurde. Die Apologetik hat die anderen nicht ilberzeugt, uns selbst aber blauen Dunst vorgemacht.

Das Argument efsetzte uns das wirkliche Leben. Wahrscheinlich muRte es so sein. Die Oeschichts hat ihren Sinn. Aber wenn die bessere Erkenntnir gM ,. Wir unterscheiden uns heute von der Haltung inserer VHter, aber wir beschuldigen sie nicht und verurteilen sle nicht,, denn.

Wir fiihlen uns ihnen so nah und verbundeu. Das empirische Judentum, das wir vorfinden, ist eine Verzerrung des wahren Judentums, das uns vor- schwebt. Darum ist unser Lebenswille nicht ,,Selbst-, erhaltungstrieb", wie man es banal nannte, sondern Wille zur Erneuerung. Wir wollen gar keine Erhaltung,, wir wollen gar nicht das Bestehende, sondern wir wollen, Aenderung, ein neues, ein a n d e r e s jiidisches Leben. Das Alte mag fallen, ein Neues er- steht.

Das neu e J udentum, fiur das wir sprechen und das erst jetzt allmihlich auch vor der Welt seine Gestalt zu gewinnen beginnt, wire das wissen wir wohl -' nicht m6glich ohne die Einwirkung bedeutender Geister anderer Vl1ker, ohne unsere Beriihrung mit dem euro- paischen Geist. Auch ffr die Worte und Werte der groBen Juden. Theodor Herzl, der, durch die Schule Europas durch- gegangen, im tiefsten seiner noblen Seele verletzt war, dessen ritterliches Ehrgeffihl und Menschenwiirde ihn zwang, sich ,: MAchad Haam lehrte uns das Ethos der Ver- antwortung fiir das ganze Volk und die tiefe Ver- kniupfung mit den jiidischen Kulturgiitern.

Die Proble- matik unseres Seins wurde uns aufgehellt durch Martin Buber, der die persbnliche Judenfrage stellte und die ewige religi6se Sehnsucht des Juden als Hauptele- ment unseres Suchens erkannte. Die menschlichen Werte, ohne die jiidisches Volkstum wesenlos ist, gaben uns A. Und der Name Kurt Blumen- felds darf nicht fehlen, der durch seine mit modernlen Erkenntnissen und modernen Methoden durchgeffihrte Analyse der jiidischen Situation die Notwendigkeit einer radikalen Entscheidung fiir den Zionismus zeigte.

Aber wir werden niemals verkennen, was wir den Besten an d e re r V61ker verdanken. Und wenn wir vom deutschen Zionismus sprechen, so gibt es auch hier Elemente, 'die uns durch deutschen Geist vermittelt wurden. Johann Gottlieb Fichte, der Redner an die deutsche Naiton hat auch fur uns gesprochen; freilich nicht in dem Sinne, daB wir das Mysterium des deutschen Volkes, das er verkiindete, nun fur uns in Anspruch genommen hiitten, sondern in dem Sinne, daB wir das Allgemein- gilltige dieser nationalen Konzeption auf uns iibertrugen.

Jüdische Rundschau (Berlin)

Was ,,Charakter haben" heiBt, wie menschliche Ent- schlossenheit zur aktiven Gestaltung des eigenen Schick- sals gegen die Bequemlichkeit des Geschehen-Lassens und gegen das Begnfigen im materiellen Wohlleben zu setzen ist, das haben wir bei Fichte gelernt; wir haben es, als wir zum Judentum gefunden hatten, in Achad Haams Worten wiedergefunden und weiter, als wirunsere Geschichte, die uns fremd gewesen war, zu verstehen versuchten, in einer untibertrefflichen Weise in den gro8en Erziihlungen unserer Vergangenheit, vor allem in dem Kampf des Fiihrers Moses gegen die Widerspenstigen, Kleinmuitigen im eigenen Volke.

Hugo Bergmann hat uns damals die Mosesgeschichte im Lichte der rigo- rosen Ethik des deutschen Idealismus gezeigt, und Fichtes Wort von der ,,Bestimmung des Men- sch en" hat mitgeholfen, unserem Nationalismus die ethische Note zu geben. Nicht ,,Selbstbestimmung" imr Sinne einer schrankenlosen Willkiir, sondern ,,Bestim- mung" zur Erfilllung einer Aufgabe, an ihr werden wir vor dem ewigen Richterstuhl gemessen werden. Heute ist bereits eine zweite Generation da, die bewuBt und unbewu8t vieles von dem Gut, das das erste Geschlecht erwerben mut3te, fibernommen hat.

Dieses zentrale Wort unseres Sederabends hat die ewige Kette der Tradition im juidischen Volke her- gestellt. Wir sehen heute mit Freude und beinahe mit Staunen, wie sich der jfidische Gestaltswandel bereits in unserer Jugend verk6rpert. Das neue Judentum ist auf dem Marsch. Es ist ein ganz anderes als das von vorgestern. Auch die Schicksale des Galuth- lebens wirken nicht verschiichternd und verirgernd, son- dern als Material des Lebens, das zu gestalten wir da sind.

Sind wir nun am Ende der vierzigjiihrigen Wiistenwanderung? Nicht mehr einen Haufen murrender und zweifelnder, alle Schuld auf auBenstehende dritte Faktoren schieben- der Menschen haben wir vor aus, sondern ein Geschlecht, das, alle Schwierigkeiten und auch alle seine eigenen Mingel kennend, die Last auf sich nimmt und spricht: An einer der reizvollsten Stellen der Haggadah wer- den die vier psychologischen Typen charakterisiert, und zwar in einer Weise, die dem kindlichen Verstiindnis man erziihlt es ja dem Kinde entspricht.

Der B6se- wicht ist derjenige, der angesichts der PeBachfeier sagt: Geh6rt er selbst denn nicht auch dazu? DaB er sich durch diese Form der Frage aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat, das, so sagt die Haggadah, ist die H a u p t s i n d e. Und, so wird fortgefahren, der Mann hat recht: Die Weisheit dieser volkstimlichen Erzihlung hat alles vorausgesehen.

Viele Juden, ja, vielleicht die mei- sten Juden unseres Kulturkreises, hatten bei Anblick eines Seders geliichelt und gefragt: Und indem sie sich aus- schlossen und anderswo zu Hause zu sein meinten, ver- loren sie jede Gemeinschaft; und wurden schlieBlich auch von den anderen als Gespenst gesehen, als Mensch ohne Schatten. An d i e s e m Sederabend aber haben wir wieder ein ,,Wir".

Und auch die friiher gefragt haben wie der B6sewicht der Haggadah, sie mogen kommen und mitfeiern. Denn es ist eine Wandlung in ihnen vorgegangen, die Gemeinschaft ist wieder erstanden, wir wissen wieder, was innere Freiheit ist und wie wir um sie zu ringen haben. Und so ffihlen wir in dieser Zeit der Wende und des Umbruchs, daB sich auch an uns das Gesetz des Aufbaus und der Wieder ge bur t, des Stirb und Werde, erfiillen wird; nicht um unsertwillen, sondern um des Namens willen, den wir durch die Geschichte zu tragen haben. Robert W e lt s c h, Berlin-Charlottenburg 9. Anzeigenlciterin und verantwortlich fiir den Inhalt der Anzeigen: Rut Posener, Berlin W Siegfried Moses, Vorsitzender der ZionistischenVereinigung fiir Deutschland Eine in standigem geistigen Kampfe stehende, unab- lhssig ringende Bewegung schAitzt den besinnlichen Rfickblick auf die Vergangenheit, zu dem ein Jubilaum Anlaf gibt; aber nur, um aus den Geschehnissen und Erfahrungen der Ver- gangenheit zu lernen.

Sie wirft bei solcher Gelegenheit auch einen Blick in die Zukunft, um die Zukunftsm6glichkeiten zu durchdenken und abzuschiitzen. Ein Jubilium ist uns Zio- nisten willkommener und deshalb festlicher AnlaB, von der Arbeit aufzusehen. Wir blicken riickwarts, schauen vorwarts und gehen wieder an die Arbeit. Wann konnte solche Verhaltungsweise mehr geboten sein als in diesel Zeitpunkt und bei diesem Jubilaum? Der Zio- nismus steht jetzt, nach einer wechselvollen Periode umfassen- der gedanklicher und praktischer Arbeit, in einem Stadium der Bewaihrung und Entscheidung.

Der Kampf um seine Gel- tung in der jiidischen Welt und der Kampf um den Aufbau des Jfidischen Nationalheims in Palastina ist auf einem H6he- punkte angelangt, und so erstaunlich uns selbst oft das Er- reichte anmutet, so gering ist es, wenn man es an der Aufgabe milt. Und mit der Arbeit in Deutschland steht es nicht anders; wir deutschen Zionisten glauben gewif nicht, daB wir uns gegentiber den Forderungen, die die Stunde an uns stellt, schon endgiiltig bewiihrt, daB wir die uns auferlegte Prfifung be- reits bestanden hitten.

So wie allenthalben und mehr als allenthalben lautet deshalb hier und heute unsere Parole; zio- nistische Arbeit.

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Freilich gibt es vielleicht keinen besseren Gradmesser fur das wirklich Erreichte, for Position und Standort des deut- schen Zionismus als die jeweilige Aktionsrichtung und den wechselnden Aktionsradius der. In den Anfangen des deutschen Zionismus ersch6pfte sich die Funktion der ,,Jui- dischen Rundschau" darin, dai sie einem kleinen Kreis von Menschen half, die zionistische Arbeit in Deutschland zu tra- gen und allmaihlich ins nichtzionistische deutsche Judentum inauszutragen.

Es kam dann die Periode, in der der deutsche Zionismus wesentlich auf die Richtung der zionistischen Arbeit in Palistina selbst einzuwirken bestrebt war, und die ,,Juidische Rundschau" ernsteste Aufmerksamkeit fand als die Stimme einer zionistischen Gruppe, die von den Zionisten der Welt besonders ernst genommen wurde, weil sie den Zionismus be- sonders ernst nahm.

Die letzten Jahre schliefilich brachten zu der Wirkung in die Tiefe jene Wirkung in die Weite und Breite, die sich in einem gewaltig vergr6Berten Leser- und Anhingerkreise der ,,Jiidischen Rundschau" dokumentierte: DaB die ,,Jfidische Rundschau" diese Antworten nicht erst in dem Zeitpunkt fand, in dem die Fragen dringlich und bedrohlich wurden, das ist vielleicht ein Umstand, auf den sie noch stolzer sein darf als auf ihre auBeren Erfolge.

Sie brauchte in den Zeiten, in denen das jfidische Leben sich pl6tzlich aufs iuBerste intensiviert hatte, nur in der der neuen Period gemafBen Form zu k inden, was sie mit anderen Worten, aber in der Sadie nicht anders schon gesagt hatte - in den langen Jahren, in denen sie gegen starke judische Widerstande daffir kiimpfte, daB das jiidische Leben intensi- viert werde und daB die jfidischen Seelen zu jiidischem Sein erwachen machten. Dies festzustellen, ist sachlich wichtig; man miBversteht die ,,JUdische Rundschau" und die deutschen Zio- nisten, wenn man ihren heutigen Analysen entnimmt, es liege ihnen pers6nlich daran, aufzuzeigen, daB sie es ,,immer schon gesagt" hatten.

Nicht weil wir uns stolz in die Brust werfen swollen, sprechen wir davon, wie sehr sich in diesen Zeiteni das Gedankengut des Zionismus und die zionistische Antwort auf die Judenfrage bewahrt haben; sondern deshalb, weil die so erwiesene Gradlinigkeit und Folgerichtigkeit der zionisti- schen Gedankengange die Gewahr dafiir bietet, daB hier und nur hier Auswege aus einer Lage gegeben sein konnen, die so oft ausweg1os scheinen will. Aus solcliej Erkenntnis sch6pfen wir die Gewilheit, daB der Zionismus deri "dischen Arbeit in Deutschland mehr und mehr sein Gepraige ger.

Voraussetzung dafiir ist, daB die Wurzeln unsere. Lebens- und Taitgkeitsgebieten war und ist ein Erfolg nur nitglich dadurch, daB die ,,J idische Rundschau" unablissig im Gle"tk- klang und Einklang mit der zionistischen Bewegung izr Deutschland wirkt nicht in dumpfer Abhangigkeit von der Organisation wie en ,,Parteiblatt" und nicht in hochmuiiger Ueberheblichkeit wie ein AuBenseiter, der von einem Logen-' platz aus den Kriegsschauplatz betrachtet; sondern die Bewe- gung begleitend zugleich als Dienerin und als Fiihrerin, ihr folgend und doch vorangehend.

Die Redaktion der ,,Jfidischen Rundschau" ist so unabhangig von der Zionistischen Vereini- gung fur Deutschland, daB ihr Chefredakteur nicht verhindert werden konnte, aus den in diesen Blittern ver6ffentlichten Jubilaumsglfickwfinschen all das Viele auszumerzen, was in be- wundernden, herzlichen und warren Worten ein pers6nliches Lob flir ihn selbst zum Ausdruck brachte. Uns wird er aber hoffentlich doch gestatten, wenigstens Eines auszusprechen: Ob unsere Zeitgenossen den verachtefen Wfisten- wanderern ebenbfirtig sind?

Ich glaube es nicht.

Material Information

Wenn heute Moses und Ahron ihre Wunder verdoppelten, die meisten wilrden in Aegypten bleiben; vielleicht wilrden die S6hne Amrams von ihren Stammesgenossen verraten and als listige Ausliinder iiber die Grenze geschafft. Unsere Vor- fahren sind in der Tat nicht besser gewesen. Eine merk- wilrdige Ueberlieferung, die der geschichtlichen Wahrheit nicht ganz entbehren mag, klingt durch die Blatter des Midrasch: Das Wort ,,chamuschim" bedeute ,,je einer von ffinfen". Diese Tatsache mag uns wie unseren Gegnern zum Troste gereichen. Emil Levy, ,,Der Auszug" ,,J. Ein Trost nur ist bei all dem Leid, das unseretrt palistinensischen Briidern im letzten Jahre widerfuhr, geblie- ben: Wenn Zeichen nicht triigen, so war es die letzte.

Am politischen Horizonte der Vl1ker, die fiber das Schicksal des Landes bei Beendigung dieses Krieges zu bestimmen haben, leuchtet die Morgenrote einer neuen groBen Erkenntnis, die allen gemeinsam ist: Diese neue tiefe Erkenntnis ist es, die heute allen Michten, denen die Zukunft Palistinas nahe geht, gemein- sam ist. Sie ist uns eine Bilrgschaft, daB hinfort die zio- nistischen Bestrebungen das richtige Verstiindnis und die n6tige F6rderung von seiten aller GroBmichte erfahren wird, die die Entwicklung des palastinensischen Bodens als eine wichtige Aufgabe der Kulturmenschheit betrachtet Eine neue bessere, unsere Welt gilt es zu bauen!

April Die national Bewegung hat den jildischen Festeri ihren ursprunglichen Sinn wiedergegeben. Ohne biegen und deuten zu missen, verstehen wir heute wieder, was das heiBt: Aus Knechtschaft in die Freiheit ziehen. Golus und Erez Israel giad uns nicht mehir Symbole, sondern lebendige Vorstellungen. Unsere Feste sind uns viel naher gekommen.

Das Wort T'chijah, Auferstehung, Wiedergeburt, hat seit etwa vierzig Jahren wieder eine ganz aktuelle Bedeutung; und begreif- licherweise vergleicht man die ,,Wiedergeburt" mit der ersten Geburt des Volkes, dem Auszug aus Aegypten. Aber nicht nur der natiirliche, nicht nur der historische Sinn des Festes ist uns heute verstindlicher und niher, auch sein geistiger Ge- halt, aus der Sphiire des Abstrak-ten in die Sphiire der Wirk- lichkeit des Lebens heruntergeholt, spricht unmittelbar zu uns.

In Erziihlungen vom Auszug aus Aegypten sind die tiefsterl politischen, psychologischen, menschlichen Erkenntnisse ent- halten. Wir lobsingen am PeBachfest dem, der ,,uns heraus- gefifihrt hat aus der Knechtschaft zur Freiheit". Aber damals dachten unsere Vater anders. Sie lobten nicht, sie fluchten dem, der sie aus der Ruhe ihres geordneten Sklavenlebens in das Neue und Unbekannte riB. Die Freiheit war ihnen ein will- kommenes Oeschenk nur, solange sie nichts anderes war als die Flucht vor der Bedringnis und physischem Uebel. Sie warerl ,,national" nur aus negative Griinden.

Ihr Nationalismus war ein Kind des Antisemitismus, nicht mehr. Darum hat der Auszug aus Aegypten die Kinder Israels noch nicht zum Volke gemacht; sie waren nur eine Schar entlaufener Knechte, immer widerstrebend, kleinmfitig und undiszipliniert. Erst durch das grofle geistige Ereignis sind sie ein Vol k geworden.

Ich tanze, also bin ich! [Kurzfilm]

Erst dann fiel die Last der Frei heit wahrhaft auf sie, als sie als Volk ein Z iel, einen Gott hatten. Frei- heit bedeutet die Verantwortung fur die eigene Entscheidung. Alle unsere religi6sen Feste gelten im Grunde diesent einen Gedanken. Denn die Freiheit kann nicht nur als eir nationals Phiinomen begriffen werden; sie ist ein mensch- liches Phiinomen. PeBach ist das erste friihlinghafte Bewu8twerden der Frei- heit, Schawuoth ist die Konfrontation der sittlichen Forderung des aus dem Gewittersturm ert6nenden ,,Du sollst". Und so geht es fort bis zu dem herbstlichen Tage, da fiber den Mi Bbrauch der Freiheit Riickschau gehalten wird und die Forderung der grfl5ten Spannung, der groBten Freiheits- Tat an den Menschen herantritt: Dieses Geseta durchzieht das jildische Jahr.

Wir sollen es nicht verkleinern, wir sollen es nicht verflachen, indem wir dem Auszug aus Aegypten ein modernes politisches Gewand a'nziehen und una an dieser politischen Parallele genug sein lassen. Wohl hat die national Bewegung des Zionismus das Judentum saikularisiert; wohl sind wir uns der natfirlichen, ein- fachen Zusammenhange, der natiirlichen Bediirfnisse des Volks- lebens, bewuBt geworden.

Aber dadurch haben wir die groBe geistige Tradition vor Jahrtausenden nicht preisgegeben, son- dern erneuert, aus der Erstarrung ihrer Abstraktheit erl6st In einem viel hbheren MaBe als es in einer anderen Generationr der Fall gewesen sein kann, empfinden wir die Feste und ihren geistigen Sinn als Stiicke unseres Lebens, aber auch als ewige Mahnung, als den Imperativ des Geistes filr die Gestal- tung unseres eigenen Lebens. DaB wir im Ghetto leben, das beginnt jetzt in unser BewuBtsein zu dringen.

Dieses Ghetto freilich unter- scheidet sich in vielem, im Begriff und in der Wirklich- keit, von dem, was wir bisher darunter verstanden. Gerade deshalb scheint eine Analyse des Ghettos als eines in neren und ii u B eren Zustandes, aber gerade in diesen inneren Qualitiiten und Begriffsbestimmungen eine lohnende und ftir die Kliirung der heutigen Situation wichtige Aufgabe zu sein.

Der innere Zustand, welchen wir ,,Ghetto" heiBen, offenbart sich in einer Tatsache, filr die es freilich nur moralische MaBstaibe gibt, welche innen wachsen und deshalb keine generelle Geltung haben, MaBstibe, welche also graduell verschieden sind, je nach der Emp- findsamkeit des einen und des anderen, und je nach den Anspriichen, die er an das Leben stellt. Sei dem aber wie immer, so nennen wir Ghetto aus unserem Empfinden und aus unseren Lebensanspriichen heraus den Tat- bestand, daB wir in einem Land.

FaBt man all das, was in den letzten zwei Jahren in gesetzgeberi- schen Akten, in amtlichen Verlautbarungen, in wichtigen Reden und in wesentlichen MaBnahmen geschehen ist, zusammen, so bekommt man dieses Ghetto-Resultat: Hiiufig wird von ihnen gesagt, daB das Dasein unserer Rasse, die Existenz unseres Geistes, das Vorhandensein unserer Religion, die Physiognomie unserer Gesichter, der Habitus unseres Lebens das Volk unglilcklich mache.

Zu solchen Wert- urteilen gibt es keine. Man kann sie nur zur Kennthiis nehiien; "aber man kanni sle unhmoglich j. Wie oft ist schon, gesagt. Diejenigen sind vielleicht gluicklich, die nur registrieren k6nnen und hinzuffigen: Aber dieses Gloick kommt aus einer flachen Seele und aus einem mangelhaften Geffihl filr Ehre und Anstand. Diesem ,,Gliick" soll man nicht das Wort reden. Es ist ein unedles und falsches Glitck. Wir anderen empfinden es als ein U n g I i c k, und da wir nicht dem Willen des deutschen Volkes, welches uns als Belastung empfindet, raschestens und ohne Z6gern haben entsprechen k6nnen, da viele Juden aus Rlicksicht auch auf die 6konomische Situation des Volkes selbst, aber auch auf innere Vor- ginge in uns selbst, hiergeblieben sind und in einer Anzahl von ein paar Menschen hier sind, wer- den wir uns des inner n Ghettos bewuBt, welches dieses Hiergebliebensein in uns zeugt.

Freilich, man miiBte uns freisprechen, wenn man uns wegen minderer moralischer Qualitiit vor Gericht stellte. S Zu diesem inneren Zustand, den wir ,,Ghetto" nen- nen, kommen andere hinzu. Das mittelalterliche Ghetto wurde abends geschlossen. Hart und grausam fiel das Tor zu. Sorgsam wurden die Riegel vorgeschoben; man kam aus der ,,Welt" und going in das Ghetto. Heute ist es umgekehrt. Wenn sich unsere Haustiir hinter uns schlie8t, kommen wir aus dem Ghetto und gehen in unser Heim.

Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das Ghetto ist kein geo graphisch umgrenzter Bezirk mehr, wenigstens nicht in dem Sinne, wie es das Mittelalter kannte. Das Ghetto, das ist die ,,Welt". DrauBen ist das Ghetto first uns. Es hat ein Zeichen. Des Juden Los ist: Vielleicht gibt es das nur einmal auf der Welt, Lind wer weiB, wie lange man es ertragen kann: Ueberall kennt das Leben den nachbarlichen Menschen.

Das ist nicht der Freund, aber einer, der gewillt ist, m it 'dem anderen das Leben zu tragen, es ihm nicht zu erschweren, sein Milhen und sein Hasten mit freundlichen Augen zu betrachten. Die Juden der groBen Stadt spilren das nicht so, aber die Juden der kleinen Stdidte, die am Marktplatz wohnen ohne Nachbarn, deren Kin- der in die Schule gehen ohne Nachbarkinder, spiren die Isolierung, welche die Nachbarlosigkeit bedeutet, die grausamer ist als alles andere, und es ist vielleicht fitir das Zusammenleben von Menschen das hiuirteste Los, das einen treffen kann. Wir wilrden das alles nicht so schmerzlich empfinden, haitten wir nicht das Geffihl, daB wir einmal Nachbarn besessen h a be n.

Noch etwas anderes sei hinzugefiigt. Wir leben in einer sehr merkwiirdigen Kultursituation. Nur der er- blindete Blick kann das nicht erkennen, und der Betrieb, den wir um das alles machen, tiuscht in der Tat dar- fiber hinweg. Aber wer auch nur von oben her die kulturelle Situation der Juden in Deutschland betrachtet und nur ein ganz klein wenig den Firnis abschiilt, der sich fiber ein scheinbar gigantisches Gemilde hinzieht, wei8, daB das alles ein Torso ist von einer erschrek- kenden Dilrftigkeit und mit einer klaffenden Wunde.

Wenn man bedenkt, daB wir innerhalb des deutschen Kulturschaffens keinen legitimen Ort mehr haben, nicht so sehr von uns her, sondern von jener Kultur aus, dann entpuppt sich uns das alles, was wir so an Kultur ,,betreiben".


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Wir spielen Beethoven, Bach und Mozart, wir kehren zu Goethe und H61lderlin zurtick, -Wir lau- schen sehnsfichtig den gro8en Offenbarungen dieser heiligen Deutschen. Sie besuchte Rosenzweig und sprach ihm in seinem Zimmer zuerst aus dieser Rolle vor, und dann, auf seinen Wunsch, aus der biblischen Quelle far die Fabel des Stacks, dem dreizehnten Kapitel des II.

Es lautet in deutscher Uebersetzung: Der aber, tranenfiberstr6mt, verlie6f In zorneflammendem Protest den Raum, - Also erneuernd dir den Urerfolg Des' Trauerspiels, des alleraltesten: Urenkelkind du unsres alien Stamms, Urahnin du hebr4ischen Trauerspiels, Dank, dafi erquickt idch ward aus deiner Handl ihr zu leben. Wir haben keinen Zeitstellen- w ert in dieser deutschen Gegenwart. Wir sind auch kulturell aus den Angeln gehoben, und man hat uns ein Senkblei in die Hand gegeben, welches wir- in den Ab- lauf der deutschen und europiischen Kulturereignisse hineinsenken, und mit einem raschen Schnitt trennen wir die groBe Literatur von einst, der wir uns hingeben, von der Literatur, Malerei, Musik von heute, der wir uns nicht hingeben diirfen.

Die Tatsache, daB wir z.

Jüdische Rundschau (Berlin)

Da hilft auch kein Betrieb, kein Verein, kein Kulturbund. Denn es gibt keine ,,befristete Kultur"! Ich weiB nicht, wie lange man so leben kann. Ich weiB nicht, wie lange die Jugend so leben kann. Mit Erinnerungen kann man zwar fiberwintern, und die Erlebnisse an einst, an die Zeit, in der wir miterleben und mitarbeiten durften, an die Zeit, in der es wenigstens in etwa einen legitimen Anspruch der Juden auf die Mitarl eit tind das Mit- schaffen gegeben hat, an die Zeit, in der Gustav Mahler Musik schrieb und Gundolf Goethe deutete, sind der groBe und sch6ne Vorratsraum, in den man gehen kann, wenn man will.

Aber w ir haben ihn noch. Unsere An unsere Leser! Die nkchste Ausgabe unserer Zeitung erscheint wegen der Feiertage am Freitag, dem Das ist eine Frage. Es ist keine Antwort. Es gibt keine Antwort. Zum Ghetto, zu unserem Ghetto von , geh6rt auch neben der Kultursituation etwas, was man -schwer bezeichnen kann, und was unser Leb e n in der d e ut- schen Landschaft umschreibt.

T6nende Worte braucht man dariiber nicht zu machen. Man braucht nur einmal am Tage durch die deutschen Lande zu fahren, jetzt im Friihling, wenn das neue Leben sich regt, und das frische Griin die Wiesen iiberzieht, die Biiche im Gebirge silbern gliinzen, die Baiume bliihen, und die Wilder auf den Bergen ringsum jung und frisch dastehen. Nur das braucht man, und man spflrt es mit aller GewiBheit und mit einer elementaren Kraft, die stark ist wie ein Axiom: In diese Landschaft sind wir hineingeboren.

Ich will nichts von der Mystik oder dem Mythos einer Landschaft sagen. Ich kenne auf diesem Gebiete nicht die Grenzen. Aber abseits von alledem ist die Bindung groB, stark und echt. Und doch hat sie sich in den letzten zwei Jahren verwandelt. Denn Landschaft ohne Menschen gibt es nicht.

Das ist eine Chimiire, ein Schatten, ein Bild, eine' Wandtafel, nichts anderes. Zur Landschaft, zur wirklichen Landschaft geh6ren Menschen und ihr Leben, ihr Denken, ihre Art, zu reagieren, was sie empfinden, und welches die Formen ihres Lebens sind. Nie hat man zur nackten Landschaft eine Bezie- hung, der Landschaft ohne Menschen, und nie auBerhalb der bloBen Aesthetik ist die Landschaft menschenleer. Ist das aber so, dann beginnt allmihlich die Landschaft, in der wir leben, ihr Antlitz zu verindern.

Denn wo in der Welt k6nnte die Beziehung noch ungest6rt sein, wenn es innerhalb dieser Landschaft Pfdhle gibt, Bar- rieren, Schilder, die mir, dem in dieser Landschaft Leben- den, den Eintritt zu ihr verwehren. Das wird fuir mich zu einem Pfahl im Fleische der Landschaft, und ihr K6rper wird ganz und gar verwundet. Denn zu wissen, daB Landschaften im Gebirge, in der Ebene und am Meere, kleine D6rfer und Stiidte den Eintritt des Juden, also meinen Eintritt, nicht wiinschen, das macht nicht nur traurig.


  1. Proclaimed From the Housetops;
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  5. Ich tanze so lange ich kann: Sylvia Sassonov: theranchhands.com: Books?
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  7. Es wire zu wenig; sondern es verwan- delt die Landschaft selbst auch, ihr objek- tives Bild, ihre Erscheinung, nicht nur meine Empfindung. Und Berge, Fliisse, Biiume und Wiesen beginnen in einer ungeahnten, nie geglaub- ten Verwandlung uns ihre Grimasse zu schneiden.


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    An dieser Demaskierung einer Landschaft, die auch die un'sere ist, zeigt sich iunser OGhettobestand von neuem. Das Ghetto hat seine Mauern zwar 'auchi. Es ist aber gut, wenn wir die unsichtbaren Mauern' sehen, die der Kultur, der Landschaft und des inneren Reagierens. Es ist gut filr uns und ffir die anderen zu wissen, was das eigentlich heiBt: Dies alles wird hier ohne jeden Groll und ohne den Ton der Anklage gesagt.

    Wir sind uns viel zu sehr der Gr6Be des geschichtlichen Umbruchs bewuBt, als daB wir auf dieses Schicksal mit unfruchtbaren Klagen reagieren sollten. Wir wissen nur das eine: Und wir wissen, daB im gleichen Zeit- alter, das uns diese unerwartete Verdinderung unseres Lebens gebracht hat, eine n e u e Form des jiidischen Lebens und eine Umformung des jiidischen Menschen im Lande der jiidischen Geburt und der jiidischen Wie.

    Die Jubilanumsfeier auf dem Skopusberg Jerusalem, April die Feier des 10jihrigen Jubilaums der Einweihung der Universitat statt, die nach dem jiidischen Kalender vor genau 10 Jahren 7. Chaim Weizmann und Prof. Eine Kapelle spielte die englische Natio- nalhymne und die Hatikwah. Magnes schilderte die Entwicklung der Universitat im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens und entwickelte die Richt.

    High Commissioner Sir Arthur Wauchope erkllirte, er freue sich zu sehen, was fOr groge Fortschritte die Universitit in ihrer bisherigen Entwicklung gemacht hat. Wire Lord Balfour noch am Leben, so wilrde er heute fest- stellen, daB die Hoffnungen, die er an die Entwicklung der Universitit kniipfte, sich erfillt haben.

    Der High Commissio- ner gab der Hoffnung Ausdruck, daB die Universitait weitere Fortschritte machen und hohe wissenschaftliche Leistungen vollbringen werde; denn keine Gesellschaft kdnne blol aut materiallen Grundlagen aufgebaut werden. Wir bringen einige Beitrage, die die Entstehung der Bewegung und ihrer Glie- derungen, ihre Wirkung auf die Judenheit und insbesondere auf die westliche Juden- heit und die Entwicklung bis heute skizzieren.

    Es sollte hierbei die Umwandlung des jfidischen Lebens durch das Auftreten des Zionismus und dessen organisatorische Kristallisation geschildert werden. Dies gibt natiirlich kein v ollstandiges Bild; manche wichtige Faktoren kommen nicht ganz zu ihrem Recht. Wir mUssen uns aber Beschrankungen auferlegen. Die Arbeit von Rudel aber soziale Farsorge zeigt, wie stark die neuen Anschauungen das ganze jaiische Leben befruchtet haben. Mart k6nnte dasselbe auf dem Gebiet des Erziehungswesenrs zeigen. Um schlieflich die Fortschritte und Veranderungen der letzten vierzig Jalhre in Politik, Wirtschaft und Kultur P a la s ti n a s darzustellen, maf3te man ein ganzes Buch schreiben.

    Inncrhalb unserer Rackschau werden nur einzelne Spezialgebiete des paldstinensischenr Lebens, vor allem die Hauptzweige der Wirtschaft, behandelt. Weitere Beitrage muf3- ten fir die nachste Nummer zurackgestellt werden. Das Jubildum der ,,Jldischen Rundschau" ist mir wie ein eigenes so sehr fahle ich mich mit diesem fIhrenden Organ unserer Bewegung ver- bunden.

    Hier ist in vorbildlichster Weise die Aufgabe einer von sittlicher Verantwortung getragenen Presse erfiillt: Treuer Dienst an dem Ideal, das sie zu verwirklichen hilft, unerschatterliches Festhallen an einem hohen geistig-moralischen Niveau ohne Konzession an den Geschmack der Menge, Ent- schiedenheit in der Sache, Vornehmheit im Ton, steter Ver- such, auch dem Gegner gerecht zu werden, Universalitat und Exaktheit der Information, unausgesetzte Bemrhung, das Beste an Beitragen zu bieten. If you are a seller for this product, would you like to suggest updates through seller support?

    Product details Paperback Publisher: Luebbe Verlagsgruppe May 31, Language: Be the first to review this item Would you like to tell us about a lower price? Start reading Ich tanze so lange ich kann on your Kindle in under a minute. Don't have a Kindle? Try the Kindle edition and experience these great reading features: Share your thoughts with other customers. Write a customer review. There's a problem loading this menu right now. Nie werden die Herausforderungen der Krankheit geleugnet und doch triumphiert immer ihr optimistischer Kampfgeist und zeigt eindrucksvoll und selbstkritisch ihren eigenen Weg der Lebensfreude.

    Doch eh es zu einer Zusammenkunft kommmt, verstirbt Ms Thurnswell. Weil es die Reederei so will. Ach ja, ich bin Massimo, der Idiot, der sich in den Konservenfabrikanten verknallt hat. Ich kann einfach keine Minute ohne ihn sein, nachdem wir zehn Jahre… Okay, lassen wir das. Ich gucke also in die Passagierliste und werde schon stutzig, als ich den Namen Hans Versgewanter lese.

    Antonios Ex auf dem Schiff? Ob das gut geht? Oder war es sein Herz? Kann ich ihm helfen?